Zwei neue Bücher zu Haina
Die ausgewählten Predigten des früheren Pfarrers Dr. Arnd Friedrich und die Recherchen von Inge Eva Schneider-Scholz über Steinmetz-Zeichen in Nordhessen
Als im Jahre 1974 der evangelische Theologe und Historiker Dr. Arnd Friedrich zum Pfarrer von Haina berufen wurde, da war ihm wohl bewusst, dass er „an einer besonderen Kirche“ wirken würde. Denn die vormalige Zisterzienserabtei, die den Ursprung des Ortes und der Pfarrgemeinde darstellt, zählte „zu den bedeutenden romanisch-gotischen Klosteranlagen von nationalem Rang“ in Deutschland, wie Arnd Friedrich schreibt. Dem tat ihre Umwandlung in ein Kranken- und Armenspital im Jahre 1533 während der Reformation keinen Abbruch, im Gegenteil trug dieser Umstand zum Erhalt der historischen Bausubstanz bei. Eine weitere kulturhistorische Aufwertung erfuhr Haina durch die Werke des Bildhauers Philipp Soldan und der Malerfamilie Tischbein sowie durch den Landschaftsgarten, den 1789 der Obervorsteher Friedrich von Stamford anzulegen begann.
Diese Themenkreise hat Pfarrer Friedrich in den fast 27 Jahren seines Wirkens in Haina nicht nur als Historiker in einem halben Dutzend Büchern und zahlreichen Aufsätzen immer wieder aufgegriffen, sondern er hat sie hier und da auch in seine sonn- und feiertäglichen Predigten einfließen lassen. Eine Auswahl dieser Predigten ist jetzt im Michael-Imhof-Verlag in Petersberg bei Fulda erschienen. Sie setzt das Hainaer Kulturerbe in einen reizvollen Bezug zu den jeweils tagesaktuellen Botschaften des Evangeliums.
So führt Arnd Friedrich unter anderem aus, in der Klosterkirche habe er einen Ort der Identifikation für das Zusammenwachsen der Pfarrgemeinde gesehen. Als weiteren Bezugsort habe er das bis heute erhaltene Geburtshaus des Goethe-Malers Johann Heinrich Wilhelm Tischbein ins Bewusstein heben wollen. Bei einem Waldgottesdienst zur Einweihung des Tischbein-Weges im Juni 1997 wies der Pfarrer zudem auf das Gemälde hin, das der Onkel des Goethe-Malers, der Kasseler Hofmaler und Akademie-Direktor Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722-1789), ein Jahr vor seinem Tode seiner Heimatgemeinde schenkte und persönlich überbrachte. Es zeigt Christus am Ölberg vor seiner Gefangennahme und Kreuzigung und wird in der Winterkirche aufbewahrt. „Im Bild erzählt er nicht nur vordergründig die Geschichte vom Gebetskampf Jesu im Garten Gethsemane, sondern er legt sie aus“, hob Pfarrer Friedrich in seiner Predigt hervor. „Sein Bild ist geradezu eine Predigt und eine sehr persönliche Auslegung des biblischen Textes.“
An anderer Stelle ging der Theologe und Historiker¸ der einer der Mitbegründer und viele Jahre der Vorsitzende der Freunde des Klosters Haina e. V. war, auch auf den „Philippstein“ als bedeutendes Denkmal der deutschen Reformation ein. An anderer Stelle erörterte er den Figurenschmuck der frühgotischen Klosterkirche, die nach dem Willen ihrer Erbauer „ein Abbild des himmlischen Jerusalem“ habe darstellen sollen. „Nichts ist in diesem Gebäude dem Zufall überlassen“, sagte Arnd Friedrich bei seinem Abschiedsgottesdienst am 29. Juli 2001. „Jede Kleinigkeit hat ihren tieferen Sinn: die pflanzlichen Darstellungen an den Kapitellen und Konsolen; die Hunde und Widder am Gesims auf der Nordseite; die Schlangenköpfe, in denen die Pässe des nördlichen Querhausfensters enden; die Harpyen, Drachen und Fledermäuse, die an der Westwand der Kirche das Böse aus dem sakralen Raum fernhalten sollen. Alles hat seinen besonderen Grund, auch dass der zentrale Schlusstein im Mittelschiffsgewölbe Maria mit dem Jesuskind darstellt.“ Die Mönche seien sich der besonderen Bedeutung des Kirchenraums bewusst gewesen, wenn sie täglich sieben Mal zum Psaltergebet im Chorgestühl zusammengekommen seien, sagte der Prediger.
Die Textsammlung umfasst insgesamt 160 Seiten und ist mit zahlreichen Farbfotos sowie mit Reproduktionen alter Dokumente ausgestattet. Unter der Webadresse https://www.imhofverlag.de/buecher/das-kloster-haina-in-predigten-von-arnd-friedrich/ kann das Buch zum Preis von 16,95 € beim Michael-Imhof -Verlag direkt bestellt werden. Es ist aber auch in jeder Buchhandlung sowie im Klosterlädchen am Besucher-Eingang des Klosters Haina erhältlich.
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In jüngerer Zeit ist noch ein zweites Buch mit Bezügen zum Kloster Haina erschienen, das sich mit den geheimnisvollen Merkzeichen der Steinmetze in früheren Zeiten befasst. Autorin ist die Logopädin Inge Eva Schneider-Scholz aus Schwalmstadt-Treysa, die auch als Führerin im Kloster Haina sowie als Fachwerk-Gästeführerin und als Stadtführerin in Treysa tätig ist. Ihr Werk trägt den Titel „Steinmetz-Zeichen im Schwalm-Eder-Kreis und in der näheren Umgebung“ und ist im Selbstverlag erschienen. Es kann zum Preis von 25,- € bei der Verfasserin unter der Mail-Adresse schneider-scholz@web.de bestellt werden, ist aber auch im Klosterlädchen in Haina verfügbar.
Das Werk stellt eine enorme Arbeit dar, die nicht nur für Historiker und Heimatforscher, sondern auch für Laien viele interessante neue Informationen liefert. Angeregt durch eine fachkundige Führung im 500-jährigen Rathaus in Alsfeld hat Inge Eva Schneider-Scholz zehn Jahre lang, von 2012 bis 2022, im gesamten Territorium der historischen Grafschaft Ziegenhain an Kirchen, Burgen und anderen historischen Gebäuden nach den Zeichen der Steinmetze gesucht. Sie fand sie an behauenen Quadern, aber auch an Stützpfeilern oder Fenster- und Türlaibungen.
Mit diesen Zeichen markierten die Bauhandwerker schon seit der Antike, vor allem aber im Mittelalter, was sie bearbeitet und zusammengefügt hatten. Jedem Steinmetz wurde seine persönliche Signatur nach der bestandenen Gesellenprüfung verliehen. Manchmal bestand sie nur aus wenigen Linien, manchmal waren es komplexe Kombinationen aus Strichen, Bögen, geometrischen Figuren oder buchstabenähnlichen Gebilden. Den Forschern geben sie wichtige Hinweise darauf, welche Handwerker an welchen Bauten mitgewirkt haben, wie also möglicherweise auch technisches Wissen von einem Ort zum anderen transferiert wurde. Mehrfach fand sich das gleiche Zeichen im gleichen Zeitfenster an verschiedenen Bauten wieder, etwa in Rückershausen und Rommershausen oder in Alsfeld, Hersfeld, Fritzlar und Treysa. Also war dort wohl derselbe Steinmetz tätig.
Die Zeichen erzählen „vielfach spannende Geschichten, in Verbindung mit anderen Quellen lassen sich Arbeitsweisen und ganze Familiengeschichten nachvollziehen“, wie die Abteilungsleiterin Dr. Ursula Schirmer von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in einem Geleitwort bemerkt. Nur in wenigen Fällen lassen sich die Steinmetzen, Bildhauer oder Baumeister indes namentlich ermitteln – so wie Tyle von Frankenberg, Philipp Soldan, Andreas Heber oder Jakob von Ettlingen.
Inge Eva Schneider-Scholz beschränkte ihre Recherchen nicht auf den Schwalm-Eder-Kreis, wo freilich der Schwerpunkt liegt, sondern stieß auch immer wieder in die angrenzenden Landkreise Hersfeld-Rotenburg, Vogelsberg, Gießen, Marburg-Biedenkopf und Waldeck-Frankenberg vor. Im Ganzen hat sie nicht weniger als 76 Orte aufgesucht, neun davon liegen im Kreis Waldeck-Frankenberg, darunter das Kloster Haina. Dort fand sie allein an der Kirche 17 verschiedene Steinmetzzeichen, weitere 38 an anderen Stellen.
Ort für Ort und Gebäude für Gebäude hat die Autorin die Signaturen einzeln abgezeichnet, zugeordnet und katalogisiert, sodass auf 148 Seiten ein variantenreiches Kompendium entstand, das für die betreffenden Gebiete bisher nicht existierte. Fotos der untersuchten Gebäude, erläuternde Zeichnungen und farbige Karten ergänzen die Darstellung. „So lernt man den Landkreis auf eine ganz andere Art und Weise kennen und erhält einen ganz neuen Blickwinkel“, schreibt Winfried Becker, der Landrat des Schwalm-Eder-Kreises in einem Grußwort.
Beeindruckt von der Aussagekraft ihrer Fundstücke war am Ende auch die Autorin selber. „Hinter den Steinmetz-Zeichen verbergen sich Menschen, ohne deren Können und auch ohne deren Wissen all die bekannten Bauwerke aus dem Mittelalter nicht möglich gewesen wären“, schreibt Inge Eva Schneider-Scholz. „Ihr Schaffen überdauert nun mehr als 800 Jahre!“