Tischbein und die Tiere
Eselsgleich oder Menschenähnlich? Neue Ausstellung über eine besondere Leidenschaft des berühmtesten Sprosses der großen Malerfamilie
Über den Charakter der Menschen ist schon viel gegrübelt worden. Vor mehr als 200 Jahren, zur Zeit des Dichters Johann Wolfgang Goethe, diskutierte man intensiv über die Frage, ob nicht jeder Mensch gewisse Ähnlichkeiten mit einem bestimmten Tier habe, und zwar im Aussehen ebenso wie im Charakter. Eine solche Sichtweise wird auch deutlich, wenn wir einen Menschen als bärenstark oder lammfromm bezeichnen. Einer derjenigen, die fest an diese Übereinstimmungen glaubten, war der Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829), der durch ein Goethe-Porträt berühmt wurde. Er war sogar überzeugt, man könne bei Menschen wie bei Tieren „von der äußeren Gestalt auf das Innere schließen“.
Diese Überlegungen sind auch in sein Werk eingeflossen, wie man bei einer neuen Ausstellung im Kloster Haina nun sehen kann. Die Präsentation, die am 18. März eröffnet wurde und bis zum 31. Oktober 2018 gezeigt wird, gibt einen kompakten Überblick über diese besondere Leidenschaft Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins, der sich bereits von früher Jugend auf mit Tieren beschäftigt und sie sein ganzes Leben lang gezeichnet und gemalt hat. In der Ausstellung, kuratiert von der Kasseler Kunsthistorikerin Prof. Dr. Martina Sitt unter Mitarbeit von Caroline von der Osten-Sacken M. A. und der Gestaltung durch die Studierenden Theresa Fichtel, Keven Frei, Sophia Kins MA, Maikel König, Anne Kruggel und Johanna Schreiner, werden zahlreiche Reproduktionen von einschlägigen Gemälden und Zeichnungen Tischbeins mit Tiermotiven erläutert.
Tischbein war 1751 als Sohn des Hospitalschreiners in Kloster Haina geboren und lebte später viele Jahre in Rom und in Eutin in Schleswig-Holstein. Seine Familie ist ähnlich wie die Musikersippe Bach eine der bekanntesten Künstler-Dynastien der deutschen Geschichte. Aus ihr gingen 16 Maler und ein halbes Dutzend Malerinnen hervor, die zumeist in ihrer Zeit in Deutschland recht bekannt waren.
J. H. W. Tischbein streifte in seinen Hainaer Jugendjahren durch die Wälder und Auen der Umgebung und beobachtete den dort vorhandenen großen Artenreichtum. Wie vielfältig dieser auch heute noch ist, kann man in einem Memory selbst erkunden. Kühe und Stiere, wie sie die Holländer des so genannten Goldenen Zeitalters erstmals großformatig ins Bild setzten, inspirierten auch ihn. Außerdem studierte er das Aussehen und Verhalten von Tieren auch in der Menagerie der hessischen Landgrafen in der Residenzstadt Kassel, wo er zeitweise bei seinem Onkel, dem Akademiedirektor Johann Heinrich Tischbein d. Ä., lebte. Allerdings faszinierte ihn dort noch mehr die Aufzucht seiner Kaninchen als im Atelier die Reinigung der Pinsel.
Die Auseinandersetzung des Künstlers mit den Theorien von der Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier wurde bei der Eröffnung der Ausstellung am Sonntag, dem 18. März, im Kloster Haina in einem Dialog mit Zitaten des Briefwechsels zwischen Tischbein und dem Anthropologen Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840) dokumentiert. Blumenbach war Professor in Göttingen und sollte nach dem Willen Tischbeins für dessen Buch über Tiere ein Vorwort schreiben. Im Gespräch zeigte sich die unterschiedliche Sichtweise der beiden Herren zur Ähnlichkeit zwischen Menschen und Tieren. Tischbein antwortete abschließend auf die Frage, mit welchem Tier er sich denn selber vergleiche: „Zum Teil mit einem Schaf und zum Teil mit einem Esel.“
Da gerade der Esel auch in Tischbeins bizarrer Eselsgeschichte von 1812 eine besondere Rolle spielt, hatten die Kunsthistorikerinnen in einem öffentlichen Aufruf nach einem ansehnlichen Exemplar aus Holz gesucht. Die in Willershausen bei Rosenthal lebende Bildhauerin Katrin Förster-Schmitt formte mit einer Kettensäge aus einem dicken Baumstamm eine hölzerne Esel-Skulptur, orientiert an einer Vorlage eines biblischen Esels aus einem Gemälde von Rembrandt, und stellte diese für die Schau zur Verfügung. Über diesem Grautier aus Holz schweben nun die „Esel im Nest“ – was es damit wohl auf sich hat?
Die Vorsitzende des Vereins der Freunde des Klosters Haina, Heike Hartmann-Frank, dankte sowohl Prof. Dr. Martina Sitt und Caroline von der Osten-Sacken als auch Katrin Förster-Schmitt mit prächtigen Blumensträußen für ihr großes Engagement. Nunmehr zum vierten Mal, so Hartmann-Frank, hätten sich die Kasseler Hochschullehrerin und ihre Studierenden der Ausstellung im Kloster Haina angenommen.