Im Zeichen des Kreuzes
Am 1. April 1224 weihte Erzbischof Siegfried II. von Mainz die Kirche des Klosters Haina – Festgottesdienst zum 800. Jahrestag
Von Manfred Albus
Ab wann ist eine Kirche eine Kirche? Diese Frage stellt man sich zwangsläufig, wenn man die Bauzeit der Hainaer Klosterkirche betrachtet. Vor knapp neun Jahren haben wir gemeinsam das 800-jährige Jubiläum gefeiert: 1215 begannen die Mönche im Tal der Wohra mit dem Bau des von der Aulisburg hierher verlegten Zisterzienser-Klosters. Erst 115 Jahre später, im Jahre 1330, wurde die Kirche fertiggestellt.
Schnellstmöglich – so schrieben es die Ordensregeln vor – sollten die Konventualen eines neuen Klosters ihrem Dienst in einem Oratorium, einem Betraum, nachgehen. Bis dahin feierten sie ihre Gottesdienste üblicherweise in einem provisorischen Kapellenbau aus Holz. Weitere behelfsmäßige Bauten aus Holz ermöglichten erst den anfänglichen Klosterbetrieb auf einer Großbaustelle. Der französische Architekt Fernand Pouillon hat dies in seinem Roman „Singende Steine“ über einen Zisterzienser-Klosterbau eindrücklich beschrieben.
Sichtbares Zeichen der Wandlung eines noch profanen Gebäudes zu einer geweihten Kirche, zu einem Gotteshaus, war und ist – neben der rituellen Handlung der Weihe – das Kreuz. Dieses begegnete den damals Beteiligten gleich in mehrfacher Form auf der Kloster-Baustelle: Die im romanischen Stil geplante Kirche wies schon zu Baubeginn als festgelegten Grundriss eine lateinische Kreuzform, gebildet aus Lang- und Querhaus, auf.
Der erste Bauabschnitt bestand in Haina aus dem Hochchor und dem Querhaus, einschließlich dessen Außenkapellen, jeweils bis zur Höhe des Gesimsganges. Seinen Abschluss fand der romanische Bauabschnitt in den beiden westlichen, in Kreuzform errichteten Vierungspfeilern. Sie bilden gleichzeitig den Beginn des ersten Langhausjoches des sich westwärts fortsetzenden Kirchenschiffes. An beiden Vierungspfeilern finden wir an der jeweiligen Mittelschiffs-Seite ein erhabenes Kreuz. Beide sind der Hinweis auf den vor 800 Jahren so besonderen Tag. Diese sogenannten Weihekreuze erinnern an die durch Erzbischof Siegfried II. von Mainz persönlich vorgenommene Weihe der Klosterkirche am 1. April 1224. Am gleichen Tag übertrug Siegfried dem Kloster Haina zur Verbesserung der Einkünfte seine Güter in Sachsenhausen bei Ziegenhain.
Es war ein wichtiger Tag für das noch junge Kloster, als der in besonderer Weise gefeierte Übergang eines quasi noch als Baustelle fungierenden Teilgebäudes für den herausgehobenen Dienst an Gott bestimmt wurde. Fortan konnte hier Gottesdienst gefeiert werden. Ab wann dies die Mönche tatsächlich vollzogen – bei gleichzeitig fortbestehender und fortschreitender lauter Bautätigkeit –, ist nicht überliefert. Viel wichtiger für den Konvent vor Ort war vermutlich der frühe formale Vollzug im Sinne der Ordensregeln. Er erinnert ein wenig an das in ähnlicher Weise rasch fertig gestellte und dann unmittelbar nutzbare Chorgestühl: In dem Gestühl, gebaut aus zwischen 1245 und 1270 gefällten Eichen, konnten bereits ab ca. 1280, also 50 Jahre vor Fertigstellung der Kirche, die Stundengebete gefeiert werden.
Die Regesten des Klosters Haina (E. G. FRANZ) überliefern nicht näher, ob weitere Persönlichkeiten an der Gebäude-Übertragung in den sakralen Bereich beteiligt waren. Haina lag zu jenem Zeitpunkt im Interessenbereich des Mainzer Erzbischofs einerseits und des thüringischen Landgrafen andererseits. Machtpolitisch hatte das Erzbistum durch die gewährten Privilegien und den damit verbundenen direkteren Zugriff faktisch die Herrschaft über das Kloster inne. Letztlich musste der Landgraf erkennen, dass das in Haina als Abtei des Zisterzienserordens entstandene Folgekloster frei von weltlichen Herrschaftsansprüchen war.
Das Vorhandensein von zwei Weihekreuzen auf der jeweils dem Mittelschiff zugewandten Seite der Vierungspfeiler lässt die Vermutung zu, dass neben dem Erzbischof auch der weltliche Herrscher zugegen war. Überliefert ist dies in den Primärquellen nicht, Sekundärquellen geben Hinweise in anderem Zusammenhang.
Der südwestliche Vierungspfeiler trägt ein lateinisches Kreuz. Im abendländischen Christentum ist es das Symbol des Kreuzes Jesu als die übliche Form des Kruzifixes. Vermutlich ist dies der Anwesenheit des Erzbischofs zuzuordnen, zumal die darüber endende Dienstkonsole an ihrer Unterseite mit dem Siegeslamm Gottes abschließt.
Das am nordwestlichen Vierungspfeiler vorhandene griechische Kreuz in der Sonderform des Prankenkreuzes könnte eher der anwesenden weltlichen Macht in Person des Landgrafen von Thüringen zugeordnet werden. Die über diesem Kreuz endende Dienstkonsole zeigt an der Unterseite eine offene Blüte, die dem floralen Dekor der Kirchen-Ausstattung zuzuordnen ist und damit theologisch weniger bedeutsam erscheint.
Täglich hörbares Zeichen der Kirchenweihe am 1. April 1224 ist für alle Hainaer bis heute die als „Hasenglocke“ bezeichnete Glocke im Hainaer Kirchturm. Sie war ein gemeinsames Geschenk des Erzbischofs von Mainz und des Landgrafen von Thüringen. Während der kirchliche Stifter Erzbischof Siegfried II. von Mainz unbestritten ist, existieren in der (sekundären) Literatur unterschiedliche Namen für den spendenden thüringischen Landgrafen. Neben Konrad I. wird auch Landgraf Hermann genannt. Ordnet man das Glockengeschenk dem Weihe-Tag zu, fällt diese Handlung in die Regierungszeit des Landgrafen Ludwig IV., des Ehemanns der heiligen Elisabeth von Thüringen, auch Elisabeth von Ungarn genannt.
Das namensgebende Symbol der Glocke stellt in einem Kreis drei springende Hasen in symmetrischer Rotation dar, deren Ohren sich jeweils mit denen der benachbarten Hasen decken, so dass tatsächlich nur drei Ohren, angeordnet in einem gleichseitigen Dreieck, zu sehen sind. Ein bekannter Merkvers beschreibt es treffend: „Der Hasen und der Löffel drei, und doch hat jeder Hase zwei“. In der Dreiecks-Mitte findet sich ein Punkt, der sich als „Auge“ vermutlich auf das Psalmwort (Ps. 34,16) „Die Augen des Herrn merken auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Schreien“ bezieht.
Das vorchristliche Symbol stammt wahrscheinlich aus Indien oder China und gelangte über die mittelalterliche Seidenstraße in den Einflussbereich des Christentums, wo es für Trinität, aber auch – durch den Hasen – für Fruchtbarkeit, oder durch die Kreisform für Ewigkeit steht. Das gehäuft in Südengland und Norddeutschland vorkommende Bild findet sich unter anderem auch als „Drei-hasenfenster“ im Paderborner Dom, in der Holzwickeder Liebfrauenkirche sowie als Gewölbeschlussstein im Kreuzgang der ehemaligen Zisterzienserabtei Harde-hausen. Alle Bilder zeigen Hasen, die sich „rechtsherum“ drehen.
Das Besondere an den „Hainaer-Drei-Hasen“ – und bisher ist ungeklärt, warum – ist deren „Linksdrehung“. Zwar gibt es in England oder z. B. am Hotel „Drei Hasen“ in Michelstadt ebenfalls linksdrehende Hasen, dennoch kommen sie insgesamt seltener vor. Interessant wäre auch, ob die unterschiedliche Verwendung eher zufällig oder aus bestimmten Gründen erfolgt. Noch immer birgt die Hainaer Klosterkirche Geheimnisse …
Nun schon seit 800 Jahren besteht in der Waldeseinsamkeit an einem Bachlauf eine Kirche. Seit 800 Jahren feiern Menschen im Tal der Wohra Gottesdienst. Der 1. April 1224 und mithin auch der 1. April 2024 ist ein besonderer Tag für das Christentum in unserer Region – und er ist ein besonderer Tag für Haina!
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Der Autor Manfred Albus ist Mitglied im Vorstand der Freunde des Klosters Haina e. V. und war als Forstdirektor jahrzehntelang der Leiter der Stiftungsforsten des Klosters Haina. Dieser Beitrag erschien in der jüngsten Ausgabe des Gemeindebriefs der Evangelischen Kirchengemeinde Hohes Lohr im Kellerwald.