Die Frauen der Familie Tischbein
Eine Ausstellung im Kloster Haina erlöst die vergessenen Schwestern und Töchter der Malersippe aus ihrer Schatten-Existenz – Überraschender Fund: die Porträts der Stammeltern
Sie standen zwei Jahrhunderte lang im Schatten ihrer Väter und Cousins, doch aus dieser unverdienten Mauerblümchen-Existenz werden sie jetzt erlöst. Eine Ausstellung im hessischen Kloster Haina würdigt erstmals die Frauen der berühmten Maler-Sippe Tischbein, die als Künstlerinnen in der Zeit zwischen 1770 und 1830 bei ihren Zeitgenossen durchaus anerkannt waren. Danach gerieten sie jedoch in Vergessenheit. Der Geist der Zeit schenkte seine Aufmerksamkeit nur den 16 männlichen Malern aus der Familie, die sich in ganz Deutschland einen Namen machten. Der bekannteste unter ihnen war Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829), der 1787 in Rom mit Johann Wolfgang Goethe in einer Wohngemeinschaft lebte und damals das berühmte Porträt des Dichters mit weißem Mantel und großem Hut schuf.
Dass jetzt ein Licht auch auf Malerinnen wie Amalie, Caroline oder Sophia Antoinette Tischbein fällt, verdankt sich einer Initiative der Kunsthistorikerin Prof. Dr. Martina Sitt von der Universität Kassel. Unter ihrer Leitung haben Studierende eines Masterkurses und Mitglieder der so genannten Bürger-Universität mehr als ein Jahr lang das Wirken von insgesamt zehn Malerinnen aus der Familie Tischbein und aus dem Umfeld der Kasseler Akademie erforscht, an der 1777 erstmals in Europa auch Frauen als Studierende zugelassen wurden.
Das Ergebnis ihrer Recherchen präsentiert die Gruppe jetzt in einer Ausstellung, die am Sonntag, dem 24. April, im Kloster Haina, dem Stammsitz der Familie Tischbein, eröffnet wurde. Sie gibt anhand von Facsimiles, Schautafeln und weiteren Objekten einen Einblick in das Leben und Schaffen der Künstlerinnen. Die Präsentation ist bis zum 30. Oktober 2016 täglich außer montags von 11 bis 17 Uhr geöffnet, eine handliche und anschauliche Broschüre als Begleitkatalog kann zum Preis von 8,50 Euro erworben werden.
Bei der Vernissage konnte Prof. Martina Sitt zur Überraschung der mehr als 80 Zuhörer zwei kostbare neue Fundstücke präsentieren, auf die sie im Rahmen ihrer Recherchen erst in jüngster Zeit bei einer Familie in Kassel gestoßen war. Es handelt sich um zwei ansehnliche Porträts der Stammeltern der Tischbein-Sippe, des Hospitalbäckers Johann Heinrich Tischbein (1683-1764) und seiner Ehefrau Susanne Margarethe geb. Hinsing (1690-1772). Gemalt hat sie vermutlich einer ihrer Söhne, die schon als Kinder des Abends von der kunstsinnigen Mutter im Zeichnen unterwiesen worden waren. Prof. Sitt appellierte an Sammler, die möglicherweise aus alter Familientradition heraus noch ähnliche Preziosen verwahren, sich mit ihr in Verbindung zu setzen.
In ihrem Vortrag hob die Kasseler Kunsthistorikerin hervor, dass die Frauen der Familie Tischbein auch deshalb in den Hintergrund geraten seien, weil sie nach ihrer Heirat sich vor allem um die Aufzucht der Kinder zu kümmern hatten. Auf diese Weise seien sie „biedermeierlich entsorgt“ worden. In einem ähnlichen Falle habe es 1781 geheißen: „Sie ist nicht gestorben, sondern verheiratet.“
Die Hainaer Ausstellung und die als Begleitkatalog gedachte Broschüre rekonstruieren in Kürze insgesamt zehn Lebensläufe von Malerinnen, davon die Hälfte aus dem Umfeld der Kasseler Akademie. Bei den fünf Frauen aus der Familie Tischbein handelt es sich um folgende Personen:
Amalie Tischbein (1756-1839), Tochter des Kasseler Hofmalers und Akademie-Professors Johann Heinrich Tischbein (1722-1789). Sie saß ihrem Vater, dem so genannten „Kasseler Tischbein“, Modell und wurde von ihm im Zeichnen angeleitet, ihre Familie gehörte zur besseren Kasseler Gesellschaft. 1778 heiratete sie den Komponisten David Apell, die Ehe wurde aber später geschieden. Amalie Tischbein stellte Gemälde aus und war Ehrenmitglied der Kasseler Akademie.
Caroline Tischbein (1783-1843), Tochter des Arolser Hofmalers Johann Friedrich August Tischbein (1750-1812), der sich später in Amsterdam, Dessau, Dresden, Berlin und St. Petersburg betätigte und Direktor der Akademie in Leipzig wurde („Leipziger Tischbein“). Sie erhielt Zeichenunterricht vom Vater und lebte mit ihrem Mann, dem Historiker Friedrich Wilken, in einem intellektuellen Milieu in Heidelberg und Berlin. Etliche bekannte Persönlichkeiten hat sie porträtiert, darunter Achim von Arnim und Christoph Martin Wieland.
Elisabeth (Betty) Tischbein (1787-1867), wie ihre Schwester Caroline eine Tochter des „Leipziger Tischbein“ Johann Friedrich August (1750-1812). Sie wurde ebenfalls vom Vater im Zeichnen unterrichtet und bildete sich zur Sängerin aus. 1807 heiratete sie den Leipziger Kaufmann Wilhelm Kunze, der zeitweise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet.
Sophia Antoinette Tischbein (1761-1826), in Hamburg geboren als Tochter von Johann Jacob Tischbein (1725-1791), des „Lübecker Tischbein“, der mit seiner Frau, der Malerin Magdalene Gertrud Lilly, später in Lübeck tätig war. Wie ihre Schwester Magdalene wurde sie von den Eltern in die Malerei eingeführt. Als Ehefrau des protestantischen Pastors und Freimaurers Ludwig Roentgen lebte sie in Hamburg und Esens (Ostfriesland) und fertigte verschiedenste Gemälde an.
Magdalene Margarethe Tischbein (1763-1836), in Hamburg geboren, war wie ihre Schwester Sophia Antoinette die Tochter von Johann Jacob Tischbein (1725-1791) und der Malerin Magdalene Gertrud Lilly. Auch sie erhielt ersten Zeichenunterricht von den Eltern. Nach langer Verlobungszeit heiratete sie ihren Hainaer Cousin, den Maler Ludwig Philipp Strack, der 1795 in Kassel zum Hofmaler ernannt wurde. Sie lebte mit ihm später auch in Eutin und Oldenburg und schuf verschiedene Gemälde, die größtenteils verschollen sind.