Der Arolser Tischbein
Johann Friedrich August als Genie der Empfindsamkeit: Im Kloster Haina wird in diesem Jahr ein Künstler aus der Tischbein-Sippe vorgestellt, der Hofmaler in Arolsen war und außerdem in Weimar, Leipzig, Amsterdam, Rom, Paris und St. Petersburg glänzte
Man nennt ihn den Leipziger Tischbein, aber man könnte ihn genauso gut den Arolser oder den St. Petersburger Tischbein nennen. Der 1750 in Maastricht geborene und 1812 in Heidelberg gestorbene Johann Friedrich August Tischbein war in der Zeit um 1800 einer der bekanntesten und erfolgreichsten Porträtmaler in Europa. Seine ersten Berufsjahre verbrachte er im Dienste des Fürsten Friedrich zu Waldeck und Pyrmont, danach führte ihn sein Weg zu ersten Adressen in ganz Europa. Der lebenslustige, manchmal verschwenderische und gleichwohl ungeheuer fleißige Mann gehörte zur zweiten Generation der berühmten Künstler-Sippe, die ihren Ursprung im nordhessischen Kloster Haina hatte. Ihm ist in diesem Jahr die Ausstellung gewidmet, die der Verein der Freunde des Klosters Haina alljährlich in einem Nebenraum der Klosterkirche ausrichtet.Sie sollte am 22. März beginnen, doch musste die Eröffnung wegen der Corona-Krise verschoben werden. Ein neuer Termin ist für den Frühsommer ins Auge gefasst.
Konzeption und Gestaltung liegen wieder in der Hand der Kunsthistorikerin Caroline von der Osten-Sacken aus Kassel, die im Zusammenwirken mit der Inhaberin des Lehrstuhls für mittlere und neuere Kunstgeschichte, Prof. Dr. Martina Sitt, schon in den vergangenen Jahren in Haina tätig war. Nach ihren Worten soll Johann Friedrich August Tischbein als ein Künstler präsentiert werden, der neue Wege ging und damit vor gut 200 Jahren zu einem wichtigen Vertreter der „Epoche der Empfindsamkeit“ wurde.
„Er entwickelte eine neue Darstellungsweise, die die Figuren voller Natürlichkeit und Ungezwungenheit zeigte“, erklärt Caroline von der Osten-Sacken. „Oft wirken die porträtierten Personen wie auf einer Momentaufnahme, die sie in spontaner Bewegung zeigt. Statt konventionelle Posen und charakteristische Attribute zu zeigen, konzentrierte sich Tischbein nun auf die Gesichter. Diese spiegelten Gefühle und entsprachen damit dem neuen Ideal der Empfindsamkeit. Das war ein großer Unterschied zum Standesporträt, und diese neue Art der Darstellung fand eine ungeheuer starke Resonanz.“
Johann Friedrich August Tischbein war der zweite Sohn von Johann Valentin Tischbein (1715-1768), mit dem einst der märchenhafte Aufstieg der Nachkommen des Hospitalbäckers Johann Heinrich Tischbein (1683-1764) und seiner Frau Susanna Margaretha (1690-1772) in die Welt der Kunst begonnen hatte. 1729 wurde Valentin, als er in der Klosterkirche von Haina eine Figur abzeichnete, von einem hessischen Hofbeamten entdeckt und eingeladen, eine Ausbildung als Tapetenmaler zu beginnen. Der Junge akzeptierte und ebnete in der Folge auch vieren seiner sechs Brüder den Weg zur Malerei. Von 1747 bis 1764 war er in den Niederlanden tätig, unter anderem in Maastricht, wo 1750 sein Sohn Johann Friedrich August geboren wurde.
Dieser wiederum ließ sich später von seinem Vater und seinem Onkel, dem Kasseler Hofmaler Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1723-1789), in der Malerei unterweisen. Auch sein Cousin Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829), der später durch ein Porträt des Dichters Johann Wolfgang Goethe berühmt wurde, begann zur selben Zeit in gleicher Weise seine Laufbahn.
Durch den Kasseler Onkel kam Johann Friedrich August in Kontakt zum Fürsten Friedrich August Karl zu Waldeck und Pyrmont, der ihn finanziell förderte und ihm einen mehrjährigen Aufenthalt in Paris, Rom und Neapel ermöglichte. Später stellte er ihn als Hofmaler in Arolsen an, ließ ihm aber auch die Freiheit, immer wieder nach Den Haag und Amsterdam zu reisen und dort mit Porträts von Hof- und Kaufleuten sein kärgliches Einkommen aufzubessern. Der junge Künstler, der die Tochter eines Arolser Hofbeamten heiratete und mit ihr drei Kinder hatte, zog später über Dessau weiter nach Leipzig, wo er im Jahr 1800 zum Direktor der Kunstakademie berufen wurde. Daher rührt sein Beiname als „Leipziger Tischbein“ im Unterschied zum „Kasseler Tischbein“ und zum „Goethe-Tischbein“.
Dank seiner neuartigen Maltechnik hatte Johann Friedrich August Tischbein großen Erfolg beim Publikum und fertigte zahlreiche Porträts an, im Ganzen an die 700. So in Weimar von Friedrich Schiller, Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Er malte auch die spätere preußische Königin Luise. Von 1806 bis 1808 weilte er in St. Petersburg und porträtierte dort zahlreiche Angehörige des hohen Adels sowie mehrere Mitglieder der Zarenfamilie. Außerdem schuf er zahlreiche Porträts von Vertreterinnen und Vertretern des Bürgertums, etwa während seiner Leipziger Zeit, während der viele seiner schönsten Bildnisse entstanden.
Bei der geplanten Ausstellung in Haina, die bis Ende Oktober dauern soll, werden die verschiedenen Lebensstationen des Künstlers gestreift und insbesondere der Unterschied zwischen dem hergebrachten, spätbarocken Standesporträt und dem intimen Porträt herausgearbeitet. „Besonderen Wert legte Tischbein dabei auf die Darstellung von Beziehungen. Im Gegensatz zu offiziellen Familienporträts schuf er nun Bilder mit eher privatem Charakter. Bildnisse von Familien, von Mutter und Sohn oder Großvater und Enkelin zeigten jetzt Nähe und eine gewisse Innigkeit der Beziehung“, sagt Caroline von der Osten-Sacken.