Aus den Eisenhütten des Klosters Haina
Prof. Dr.-Ing. Helmut Burger berichtete, wie die Ofenplatten des Renaissance-Bildhauers Philipp Soldan gegossen wurden
Sie nannten ihn Meister Lipsen – eine Kurzform des Namens Philipp Soldan. Der Renaissance-Künstler aus Frankenberg (Eder), der von etwa 1500 bis 1570 lebte, ist in den historischen Akten des Klosters Haina immer wieder vermerkt, und zwar als Empfänger von Honoraren. Sie wurden gezahlt für die Anfertigung von handgeschnitzten Holzmodellen, die als Vorlage für den Guss eiserner Ofenplatten dienten. Die daraus zusammengefügten Öfen wurden vor knapp 500 Jahren, im Zeitalter der Reformation, zu hunderten von Haina aus in verschiedene Länder Europas exportiert. Und manche Exemplare stehen bis heute in Schlössern, Museen und Sammlungen im In- und Ausland, so auch in Marburg, Frankenberg (Eder), Allendorf (Eder) oder Schmalkalden.
Über Philipp Soldan, den „Bildhauer der Reformation“, und seine Ofenplatten hielt Prof. Dr.-Ing. Helmut Burger, ein Experte für Hüttenkunde aus Biedenkopf, am Sonntag, dem 20. August 2017, in der Hainaer Klosterkirche einen anschaulich untermalten Vortrag. Der Forscher und Manager, der früher der Geschäftsleitung der Viessmann-Werke in Allendorf angehörte und außerdem an der Fachhochschule Gießen-Friedberg (heute Technische Hochschule Mittelhessen) lehrte, warf damit ein Schlaglicht auf eine Lebenswelt, die bisher nur von wenigen Experten mit dem mittelalterlichen Kloster Haina in Verbindung gebracht wird: Die Zisterzienserabtei betrieb neben ihren geistlichen Aufgaben nicht nur Land-, Forst- und Teichwirtschaft im großen Stil, sondern sie verfügte auch über Erzgruben, Poch- und Hammerwerke sowie Gießhütten, in denen Erz verhüttet und Eisen geschmolzen wurde.
Die kleine Gewerbezone umfasste das Gebiet östlich von Haina, wo auch das alte Bergmannsdorf Bergfreiheit mit seinem historischen Bergwerk liegt. Im Mittelalter wurde dort zunächst nur Schmiedeeisen erzeugt und verarbeitet, und zwar mit Hilfe von Holzkohle, die von Köhlern im nahegelegenen Kellerwald produziert wurde. Ab etwa 1540 war man dank fortgeschrittener Technik in der Lage, auch flüssiges Gusseisen herzustellen. Eisenhütten mit bis zu sechs Meter hohen Hochöfen gab es in Dodenhausen, Fischbach und Armsfeld. Die Schmelzmeister und Gießer kamen, wie Prof. Burger berichtete, immer wieder aus dem Siegerland, einem wichtigen Zentrum der Verhüttung, sowie aus dem Rheinland, dem Sauerland und der Grafschaft Waldeck und zogen dann weiter. Das Kloster Haina war zu dieser Zeit nicht mehr in der Hand der Zisterzienser, sondern in der Verfügungsgewalt des hessischen Landgrafen Philipp des Großmütigen. Er hatte 1527 im Zuge der Reformation alle 37 Klöster in der Landgrafschaft Hessen aufgehoben und 1533 einige davon, darunter Haina, in Hospitäler für Arme, Alte und Kranke umgewandelt.
In den Jahrzehnten nach 1540 erlebte die Hainaer Hüttenindustrie ihre Blütezeit, und ihr Verkaufsschlager wurden die gusseisernen Öfen. Nach den im Klosterarchiv aufbewahrten alten Rechnungen wurden zwischen 1555 und 1699 nicht weniger als 6.138 solcher Öfen hergestellt, wobei die Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618-48) mit ihren vielen Stillständen noch nicht berücksichtigt ist. Abnehmer waren neben den Landgrafen auch zahlreiche hessische Adelshäuser, aber auch Stadtregierungen und vermögende Bürger.
Schon früh kamen die Hainaer Hütten-Manager auf die Idee, ihre Ofenplatten künstlerisch gestalten und beispielsweise mit biblischen Motiven versehen zu lassen. Ihr wichtigster Helfer wurde dabei der Frankenberger Bildhauer und Formenschneider Philipp Soldan, der unter anderem mit den geschnitzten Schalksnarren am Frankenberger Rathaus oder einer prachtvollen Ratsherrenbank und dem Philippstein in der Hainaer Klosterkirche bekannt geworden ist. Im Jahr 1555 tauchte „Meister Lipsen, der Schnizer zum Franckenbergh“ zum ersten Mal in den Klosterrechnungen auf, danach immer wieder. Er fertigte aus Birnbaum- oder Lindenholz die so genannten Modeln als Vorlagen. Diese wurden dann in feinen Sand gepresst, die entstandenen Verformungen mit glühendem Eisen ausgegossen; später fügte man fünf oder mehr Platten zu einem Ofen zusammen. „Man kann nur den Hut ziehen vor der Leistung, die die Leute damals gebracht haben“, sagte Professor Burger.
In seiner künstlerischen Arbeit an den Modeln erwies sich Philipp Soldan als ein Botschafter der Reformation, ähnlich wie der mit Martin Luther befreundete sächsische Künstler Lucas Cranach. Professor Burger erläuterte dies am Beispiel des biblischen Motivs vom „Jüngsten Gericht“, das Soldan in mehreren Variationen gestaltete. Unter den „Verfluchten“, die dort in die Hölle fahren, befinden sich etwa ein Geizhals und eine schöne Frau mit einem Butterfass, aber auch der Papst, ein Kardinal und ein Bischof, erkenntlich an ihren Kopfbedeckungen, oder ein Mönch mit seiner Tonsur. „Es ist Reformation pur, es ist schon bald Polemik. Lucas Cranach hat es gemacht, Philipp Soldan hat es auch gemacht, und hier in Haina ist es gegossen worden“, sagte Professor Burger. „Wenn die Leute abends vor dem Ofen saßen und haben das gesehen, dann werden sie sich schon einiges gedacht haben.“
Andere Motive des Formenschneiders Soldan waren biblische Geschichten wie etwa die vom reichen Mann und dem armen Lazarus, vom barmherzigen Samariter oder von der Hochzeit zu Kana. Auf einer Ofenplatte, die Jesus mit der Samariterin zeigt, vermutet Professor Burger in einer der gezeigten Gestalten ein Selbstbildnis Soldans. Zudem hält er es für denkbar, dass in den Hainaer Eisenhütten zur Zeit Philipps des Großmütigen auch Geschütze gegossen wurden und dass auch diese Produkte von Philipp Soldan künstlerisch gestaltet wurden. „Nur wie, wo und wann, das wissen wir nicht.“ Neben Soldan selber waren auch andere Formenschneider für die Hainaer Hütten tätig, zum Teil waren sie Soldans Schüler. Unter ihnen waren Heinrich Bunsen, Jost Luppolt, Konrad Luckeln und Jost Schilling.
Mehrere Kopien von Ofenplatten, die in den Hainaer Hütten nach Soldans Vorgaben gestaltet wurden, befinden sich seit neuestem in der Sammlung des Vereins der Freunde des Klosters Haina. Sie wurden dem Verein von der Viessmann-Gruppe aus Allendorf gestiftet, Professor Burger hatte dies vermittelt. Die Vorsitzende des Vereins, Heike Hartmann-Frank, dankte deshalb dem Wissenschaftler und Manager ebenso wie der Firma Viessmann bei dev Veranstaltung in der Klosterkirche „für dieses großherzige Geschenk“. Die Abgüsse werden derzeit im Inneren am Eingang zur Kirche gezeigt, sie sollen aber in Bälde in einem besser geeigneten Raum präsentiert werden.
Literatur
Helmut Burger, Philipp Soldan – Die Bibel in Eisen, Das Jüngste Gericht. In Holz geschnitten, in Sand geformt, in Eisen gegossen, Allendorf 2017
Helmut Burger, Philipp Soldan – Lazarus. In Eisen gegossen, in Stein gehauen. Kostbarkeiten in der Geschichte der Heiztechnik und der Reformation, Allendorf 2016
Ludwig Bickell, Die Eisenhütten des Klosters Haina und der dafür thätige Formschneider Philipp Soldan, Marburg 1889
Arnd Friedrich, Das Berg- und Hüttenwesen des Hospitals Haina vom 16. bis 19. Jahrhundert, in: Geschichtsblätter für Waldeck, 78. Band, 1990, S. 25 - 39
Peter Handy, Ofenplatten aus dem 16. bis 19. Jahrhundert im Schloss Wilhelmsburg Schmalkalden, Schmalkalden 1982