Junger Maler sucht sein Glück
In einer neuen Präsentation im Kloster Haina zeigen die Kasseler Kunsthistorikerin Prof. Dr. Martina Sitt und vier Studentinnen, wie hart der Goethe-Maler J. H. W. Tischbein vor 230 Jahren in Rom um Aufträge und Anerkennung kämpfen musste
Es war ein Kampf, der Kraft und Nerven kostete. Als Johann Heinrich Wilhelm Tischbein sich 1779-1781 – und erneut ab 1783 als junger deutscher Maler in Italien niederließ, da warteten auf ihn gewaltige Herausforderungen. „Es war nicht einfach für Tischbein, nach Rom zu gehen und dort sein Glück zu machen“, sagt die Kunsthistorikerin Martina Sitt. „Er musste sich schon etwas einfallen lassen und penetrant sein.“ Die Kasseler Professorin, die seit mehreren Jahren zusammen mit Studierenden das Wirken der hessischen Malerfamilie Tischbein erforscht, hat jetzt für eine neue Ausstellung im Kloster Haina die zum Teil recht frustrierenden Erfahrungen des so genannten Goethe-Tischbein in Rom recherchiert und anschaulich dargestellt. Sie präsentiert dabei als begleitende Broschüre auch eine Leseprobe aus den von ihr neu erschlossenen Lebenserinnerungen Tischbeins.
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829) hatte, mit einem kargen Stipendium des hessischen Landgrafen Friedrich II. versehen, schon 1779 bis 1781 ein erstes Mal in Rom gelebt und dort anhand der prachtvollen Denkmäler und Museen die Kunst der Antike und der Renaissance studiert. Sein zweiter Aufenthalt in der „Ewigen Stadt“ begann am 24. Januar 1783 und hinterließ vor allem deshalb Spuren, weil der junge Mann und seine Malerfreunde, die in einer geräumigen Wohnung im Zentrum zusammenlebten, in dieser Wohngemeinschaft 1786/87 auch Johann Wolfgang Goethe aufnahmen.
Tischbein malte damals das berühmte Porträt, das Goethe als Dichterfürst in der römischen Campagna zeigt, mit großem Hut und weißem Mantel malerisch auf antiken Ruinen gelagert. Dank dieses Bildes, das heute im Frankfurter Städel hängt, erlangte der Maler posthum von allen Malern der Familie Tischbein die größte Bekanntheit, obwohl ihm einige Verwandte künstlerisch durchaus überlegen sind. Im Ganzen zählten mindestens 16 Maler und mehr als ein halbes Dutzend Malerinnen zu der Sippe, deren Stammeltern der Hainaer Hospitalbäcker Johann Heinrich Tischbein (1683-1764) und seine Frau Susanne Margarethe (1690-1772) waren.
Dass junge deutsche Maler in der klassischen Periode einige Monate oder Jahre in der Kunstmetropole Rom verbachten, war im 18. Jahrhundert durchaus keine Seltenheit. Auch zwei Onkel und ein Cousin von J. H. W. Tischbein gingen diesen Weg. Und als der junge J. H. W. seinerseits ab 1783 in der Hauptstadt des Vatikanstaates weilte, da hatte er dort rund 120 weitere Maler aus deutschen Landen als Kollegen und Konkurrenten. Sie bemühten sich ebenso wie er um Aufmerksamkeit und Aufträge, hinzu kamen weitere erfolgs- und erfahrungshungrige Berufsgenossen aus Frankreich, Großbritannien oder Spanien.
Rom war für all diese Künstler, die oft recht arm waren, „eine Art Freihandelszone“, wie Prof. Dr. Martina Sitt bei der Eröffnung der neuen Tischbein-Ausstellung am Sonntag, dem 9. April, im Kloster Haina erklärte. Die jungen Leute betrachteten Rom als „ein Sprungbrett“ für eine Festanstellung an einem deutschen Fürstenhof, weil damals auch viele Angehörige der regierenden Adelshäuser eine Zeitlang in Rom verweilten. Dadurch ergab sich die Möglichkeit zahlreicher persönlicher Kontakte, die in etlichen Fällen tatsächlich zu fruchtbringender Zusammenarbeit führten. Auch der junge Tischbein knüpfte Verbindungen, baute ein Netzwerk auf und versuchte nach den Worten von Prof. Dr. Sitt „eine Marke zu werden“. Außerdem wollte sich der junge Autodidakt, wie aus seinen Memoiren hervorgeht, in der Auseinandersetzung mit den großen Kunstwerken und mit seinen vielen Kollegen weiter schulen und professionalisieren. „Er wollte nicht Touristenmaler werden, nein, er wollte unbedingt deutsche Themen malen.“
Der erste namhafte Versuch war ein Gemälde über das Schicksal des mittelalterlichen Schwaben-Herzog Konradin, der 1268 als letzter Nachfahr der Staufer auf einem Kriegszug in Neapel öffentlich enthauptet wurde. J. H. W. Tischbein schickte das Bild dem Herzog Ernst II. von Gotha-Altenburg, der seinen zweiten Rom-Aufenthalt finanziell förderte, auch in der Hoffnung, dass dieser es öffentlich ausstelle. Der Empfänger aber hängte das Bild, weil es unwillkommene politische Assoziationen weckte, in sein privates Kabinett, sodass die Welt von Tischbeins Schöpfung nichts erfuhr. „Das war sein erster großer Erfolg, der sein erster großer Flop wurde“, merkte Prof. Dr. Martina Sitt dazu an.
Als weitere Ruhmestat aus Tischbeins römischer Periode wäre das Goethe-Porträt zu nennen, das nach den Worten der Forscherin allerdings „ein Retro-Erfolg“ wurde. Erst lange nach Goethes und Tischbeins Tod wurde es bekannt, nachdem es seit 1887 im Frankfurter Städel aufgehängt wurde. Zuvor war es auf abenteuerlichem Weg aus Italien in deutschen Privatbesitz gelangt, zuletzt gehörte es der Bankiersfamilie Rothschild. Tischbein selber hatte für das Werk zunächst weder einen Financier noch einen Abnehmer und konnte es auch nicht vollenden, Goethe hat es im fertigen Zustand nie gesehen.
Von Rom aus konnte Tischbein immerhin als 38-Jähriger nach manchem Fehlschlag eine Festanstellung beim König von Neapel erlangen. Er wurde zum Direktor der dortigen Akademie der Schönen Künste (Accademia di belle arti) berufen. Als allerdings zehn Jahre später der französische Herrscher Napoleon mit seinen Truppen Neapel eroberte, musste der Künstler fliehen und kehrte nach Deutschland zurück. Er beschloss sein Leben später als Hofmaler des Herzogs von Oldenburg und starb 1829 in Eutin.
Die anfangs durchaus herzliche Beziehung zu Goethe geriet schon in Rom aus den Fugen und blühte nie wieder auf. Unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen spielten offenbar eine Rolle, allerdings ist nicht überliefert, was wirklich zwischen den beiden Künstlern passierte, wie Prof. Dr. Sitt erklärte. „Worüber sie sich entzweit haben, das wird wahrscheinlich ein Rätsel bleiben.“
Die neue Präsentation mit dem Titel „J. H. W. Tischbein in Rom – Hoffnungen und Herausforderungen“ wird in einem Nebenraum der Hainaer Klosterkirche noch bis zum 31. Oktober dieses Jahres gezeigt werden. Sie wurde unter Leitung von Martina Sitt von einem Team des Studiengangs Kunstwissenschaft an der Universität Kassel aufgebaut und wird vom Verein der Freunde des Klosters Haina materiell und finanziell unterstützt. Der Studiengruppe gehören Lisa Beutler, Alina Hanske, Julia Werner und Julia Krause an. Zur Vorbereitung hatte Prof. Dr. Sitt im Jahr 2016 mehrere Monate lang in Rom geforscht, unter anderem in der Casa di Goethe, die sich in der früheren Tischbein-Wohnung in der Via del Corso befindet.
Bei der Eröffnung der Ausstellung erklärte für die Freunde des Klosters Haina das Vorstandsmitglied Klaus Brill, die Präsentation der Kasseler Kunsthistorikerinnen sei für Haina und seine Besucher „ein großes Glück“ und „ein großes Geschenk“, für das man sehr dankbar sei.