Aus Haina nach Arolsen
Die Tischbeins im Waldecker Land
Ausstellung schlägt im Jubiläumsjahr eine Brücke zwischen den beiden Teilen des Landkreises Waldeck-Frankenberg – Kuratorin schildert kunsthistorische Detektivarbeit
Mit einer Ausstellung im Kloster Haina wird in diesem Jahr eine kulturelle Brücke nach Bad Arolsen und damit auch zwischen den beiden Teilen des Landkreises Waldeck-Frankenberg geschlagen. Das verbindende Element sind rund 40 Kunstwerke, die von Angehörigen der in Haina verwurzelten Malerfamilie Tischbein für die fürstliche Familie und andere Bewohner des Waldecker Landes geschaffen wurden. Wie der Verein der Freunde des Klosters Haina mitteilte, hat ein dazu ergangener Aufruf an die Bevölkerung „eine sehr erfreuliche Resonanz gefunden“. Bei der Eröffnung der Präsentation am Sonntag, dem 17. März 2024, demonstrierte die Kuratorin Caroline von der Osten-Sacken am Beispiel eines neu entdeckten Damen-Porträts, dass die Interpretation und Zuschreibung eines Gemäldes für Kunsthistoriker manchmal „eine richtige Detektivarbeit“ darstellt.
Die Ausstellung trägt den Titel „Aus Haina nach Arolsen – Die Tischbeins im Waldecker Land“ und ist noch bis zum 3. November geöffnet. Sie fügt sich ein in die Reihe der Veranstaltungen, mit der in diesem Jahr der 50. Jahrestag der Bildung des Landkreises Waldeck-Frankenberg gewürdigt wird. Aufgrund des Aufrufs hatten sich sechs Personen aus dem Waldecker Raum gemeldet, die weithin unbekannte Gemälde oder Zeichnungen von Mitgliedern der Tischbein-Familie im Besitz haben. Zudem hatte die Kuratorin vier Museen kontaktiert, die ebenfalls Tischbein-Werke in Form von Reproduktionen zur Verfügung stellten. Diese werden nun in einem Nebenraum des Kreuzgangs in Haina ausgestellt und können dort täglich außer Montags von 11 bis 17 Uhr besichtigt werden.
Im ganzen sind rund zwei Dutzend Kunstwerke zu sehen, darunter auch bekannte Darstellungen der Fürstenfamilie zu Waldeck und Pyrmont oder antiker Motive, die sich im Residenzschloss von Bad Arolsen befinden und von den „großen Drei“ der Familie Tischbein angefertigt worden sind. Hinzu kamen nun aufgrund des Aufrufs zwei Werke von Johann Heinrich Tischbein dem Jüngeren (1742-1808), einem älteren Bruder des „Goethe-Tischbein“. Er lebte als Maler und Kupferstecher in Kassel und war seit 1775 auch Inspektor der Gemäldegalerie des Landgrafen von Hessen-Kassel. Die Schau in Haina zeigt zwei Grafiken von ihm mit Tiermotiven, die den Städtischen Museen in Bad Wildungen gehören. Unklar ist, ob aus seiner Hand auch das Porträt der Kasseler Bürgerin Marie Nina Franziska Württemberger geb. Horstmann (1784-1844) stammt, das sich im Privatbesitz einer Bad Wildunger Familie befindet. Auch Johann Heinrichs Bruder Wilhelm kommt als Urheber in Frage.
Am Beispiel dieses farblich und gestalterisch sehr ausdrucksvollen Bildes erläuterte Caroline von der Osten-Sacken, wie akkurate Forschungsarbeit zur korrekten Bewertung eines Gemäldes führen kann. „Was man in der Kunstgeschichte immer macht: Man vergleicht“, sagte sie. Bestehe Unsicherheit über die Zuordnung eines Gemäldes zu einem bestimmten Künstler, so nehme man von diesem ein bekanntes Werk und prüfe das neue in allen Details. „Man vergleicht Hände, Füße, Ohrmuscheln und Augenbrauen oder Füße.“ So könne man gewisse Ähnlichkeiten erkennen – oder eben nicht. „Jeder Maler hat so seine Maniera, seine Handschrift“, erklärte die Kunsthistorikerin. Außerdem würden alle handschriftlichen Notizen oder Klebezettel auf der Rückseite eines Bildes, die einen Hinweis auf den Urheber geben könnten, genauestens analysiert. „Das ist manchmal richtige Detektivarbeit.“ Nicht immer führe sie zum gewünschten Erfolg. „Oft vergleicht man und findet keine endgültige Lösung“, sagte Caroline von der Osten-Sacken, die erst unlängst ein Buch über die Malerfamilie Tischbein veröffentlicht hat.
Zu den Neuentdeckungen gehört auch ein Gemälde von Christian Anton Wilhelm Tischbein (1751-1824), der wie sein Cousin Johann Heinrich d. J. der zweiten Tischbein-Generation entstammt. Auch er war im Waldecker Land tätig und malte um 1760-1770 unter anderem ein anrührendes und anspielungsreiches Porträt des Jägers Johannes Beisenherz, der 1778 mit 76 Jahren starb. Beisenherz stand im Dienst der Waldeckischen Adelsfamilie von Dalwigk aus Dalwigksthal. Wie Dr. Reinhard von Dalwigk gegenüber der HNA erklärte, hatte sein Urururgroßvater Friedrich von Dalwigk dem Jäger aus Dankbarkeit für seine „geprüfteste Redlichkeit und Treue“ auch auf dem Friedhof von Dalwigksthal einen Grabstein aus Sandstein errichten lassen. Offenbar sei sein Urahn ein liebenswerter und bescheidener Mann gewesen, sagte Reinhard von Dalwigk, der das Grabmal in jüngerer Zeit schon zweimal hat restaurieren lassen. Christian Anton Wilhelm Tischbein malte damals auch die Holzdecke der Kirche in Schmillinghausen bei Bad Arolsen mit Motiven aus der Reformationszeit aus, so mit einem Bild Martin Luthers.
Weitere Glanzpunkte der Ausstellung, die von der Waldeck-Frankenberger Bank unterstützt wird, sind Reproduktionen von Gemälden aus dem Residenzschloss in Bad Arolsen, die die Stiftung des Fürstlichen Hauses zu Waldeck und Pyrmont zur Verfügung gestellt hat. Sie wurden im 17. Jahrhundert von den drei berühmtesten, europaweit bekannten Malern der Familie Tischbein angefertigt. Darunter ist ein wandgroßes Bild der Arolser Fürstenfamilie, das 1757 Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722-1789) schuf. Er war Hofmaler und Direktor der Kunstakademie in Kassel. Sein Neffe Johann Friedrich August Tischbein (1750-1812) war jahrelang als Hofmaler in Arolsen tätig und porträtierte nicht nur den Fürsten Friedrich Karl August (1743-1812), sondern auch andere Persönlichkeiten. Fürst Friedrichs Bruder Christian begegnete in Rom und Neapel dem Cousin des Malers, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829), und erwarb von ihm Historienbilder mit Sujets der antiken Mythologie. Damals war auch der Dichter Johann Wolfgang Goethe zugegen, den Wilhelm Tischbein in seinem berühmten Porträt verewigt hat.
Teil der neuen Ausstellung sind auch zwei Zeichnungen von Johann Heinrich Tischbein d. Ä., die der Verein der Freunde des Klosters Haina unlängst von der Marburger Unternehmerin Andrea Suntheim-Pichler erhalten hatte. Sie zeigen ein Kranken- oder Sterbelager im Familienkreis und einen Lehrer mit einem Schüler. Zwei weitere Zeichnungen desselben Künstlers präsentierte eine Dame aus Kassel mit Wurzeln in Frankenau. Zudem wurden Tischbein-Werke im Schloss Friedrichstein in Bad Wildungen sowie im Wolfgang-Bonhage-Museum in Korbach ermittelt. „Im Ganzen können wir damit eine wirklich interessante Mischung von Kunstwerken präsentieren, die alle eine Beziehung zum Landkreis Waldeck-Frankenberg haben“, sagte die Kuratorin Caroline von der Osten-Sacken. „Ich vermute, dass in mancher Wohnung und auf manchem Speicher in Nordhessen noch manches weitere Werk der Tischbeins schlummert“, erklärte die Kunsthistorikerin. „Manchmal wissen die heutigen Besitzer gar nicht, welche Schätze sie verwahren, die sie vielleicht geerbt haben.“
Den Aufruf an die Bevölkerung hatte der Verein der Freunde des Klosters Haina im Januar veröffentlicht. „Eine solche Initiative und eine solche Zusammenschau hat es bisher noch nie gegeben“, erklärte dazu die Vereinsvorsitzende Heike Hartmann-Frank. „Wir sind hochzufrieden und erfreut, dass sich tatsächlich ein halbes Dutzend Personen gemeldet haben, die ein Kunstwerk zu dieser Ausstellung beisteuern konnten. Und wir danken ihnen dafür sehr herzlich.“ Der Verein erneuerte sein Angebot, bei Bedarf den Kontakt zu Fachleuten herzustellen, um die gemeldeten Gemälde begutachten zu lassen. Interessenten sind gebeten, sich per Internet über klosterhaina@t-online.de oder unter Tel. 06456-1014 zu melden. Diskretion wird zugesichert.
Einen detaillierten Überblick über die gesamte Malerfamilie Tischbein gibt ein kürzlich erschienenes Buch, das die Kuratorin Caroline von der Osten-Sacken verfasst hat. Demnach gingen aus der Ehe des Hainaer Hospitalbäckers Johann Heinrich Tischbein (1683-1764) und seiner Frau Susanna Margaretha (1690-1772) in drei Generationen rund zwei Dutzend namhafte Malerinnen und Maler hervor. Im Ganzen gab es nicht weniger als 42 künstlerisch tätige Personen, sofern man auch die Graphiker, Kupferstecher oder Architekten und die angeheirateten Künstler mitzählt. Vom nordhessischen Haina aus verbreiteten sie sich in halb Europa und waren an mehr als 30 verschiedenen Orten tätig. Das Buch kann über jede Buchhandlung oder über die Freunde des Klosters Haina e. V. bezogen werden (klosterhaina@t-online.de, Tel. 06456-1014). Außerdem ist das Werk im Klosterlädchen in Haina erhältlich.