475 Jahre Philippstein in Haina
Der Historiker und Theologe Dr. Arnd Friedrich erläuterte in der Klosterkirche die Bedeutung dieses Denkmals der Reformation
Der Philippstein im Kloster Haina gehört zweifellos zu den bedeutendsten Denkmälern der Reformation in Deutschland. Das großformatige Kunstwerk, das der Frankenberger Bildhauer Philipp Soldan im Jahre 1542, also vor genau 475 Jahren, schuf, zeigt den hessischen Landgrafen Philipp den Großmütigen in seiner Rolle als sozialpolitischer Reformer. Für heutige Betrachter gibt die Darstellung mancherlei Rätsel auf. Ihnen ging der Historiker und Theologe Dr. Arnd Friedrich bei einem Vortrag am Sonntag, dem 17. September, in der Klosterkirche Haina auf den Grund. Er interpretierte den Philippstein als einen Beleg dafür, wie die Reformation vor 500 Jahren in die ursprünglichen sozialen Aufgaben der Klöster eingetreten sei. Dies dürfe im Rahmen der zahllosen Feierlichkeiten zum Reformationsjahr 2017 nicht untergehen, sagte Dr. Friedrich. Haina sei ein Ort der Reformation und verdiene ähnlich wie Marburg einen touristischen Hinweis auf diese Tatsache.
Im Werk Philipp Soldans nimmt der Philippstein wegen seiner symbolstarken Ausdrucksform und seiner politischen Botschaft einen besonderen Rang ein. Er diente der Verteidigung und Verherrlichung des Landgrafen Philipp (1504-1567), der damals stark unter Druck geraten war. Als einer der wichtigsten politischen Führer der Protestanten in Deutschland hatte der Fürst 1527 sämtliche Klöster in Hessen aufgehoben und in Marburg die erste protestantische Universität der Welt gegründet, die er aus den Klostergütern finanzierte. Die Abteien in Haina und Merxhausen wurden bald darauf in Hospitäler umgewandelt, die bis heute bestehen.
Dieses Vorgehen erfuhr von katholischer Seite scharfe Kritik. Dagegen sollte offenbar der Philippstein zum Ausdruck bringen, dass der Landgraf sich am Kircheneigentum nicht persönlich bereichert habe, sondern es im Geiste christlicher Barmherzigkeit zum Wohle der Bedürftigen verwende. „Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass der erste Obervorsteher der neu entstandenen Hospitäler, Heinz von Lüder, das Relief beim Frankenberger Bildhauer Philipp Soldan in Auftrag gegeben hat, um damit der Kritik der Altgläubigen an Landgraf Philipps sozialem Werk zu begegnen“, sagte Dr. Friedrich. „Denkbar wäre auch, dass der Landgraf nach dem Bekanntwerden seiner 1540 mit dem Edelfräulein Margarethe von der Saale geschlossenen Nebenehe und der daraus resultierenden folgenschweren Unterwerfung unter den katholischen Kaiser mit dem Steinrelief ermahnt werden sollte, unverrückbar beim reformatorischen Glauben zu bleiben.“
Beherrscht wird das Bild von der Figur des Landgrafen Philipp, der nach der Mode seiner Zeit als Adliger gekleidet ist. Er wird gepriesen als „neuer Herkules“, der die habgierigen Mönche aus ihrem Nest vertrieben und das Kloster zu einem Hospital für Arme und Kranke gemacht habe. Für das Mönchtum steht symbolhaft eine mythologische Figur aus der Antike, die so genannte Harpiye, ein Vogelwesen, das mit seiner Kralle an einen Geldkasten gekettet ist. Es trägt eine vergoldete Mönchskappe. „Soldan bedient sich damit des Sprachgebrauchs von Martin Luther“, sagte Dr. Friedrich. „Dieser sah in der Harpyie ein Synonym für die avaritia, die Habsucht.“
Diesem Eigennutz werde der von Landgraf Philipp verfolgte „gemeine Nutz“ gegenübergestellt, wie er in den so genannten Kastenordnungen der Reformationszeit zum Ausdruck komme, führte der Referent weiter aus. Ein solcher Kirchenkasten habe der Besoldung der Pfarrer, der Finanzierung der neu gegründeten Schulen und insbesondere der Armenfürsorge gedient.
Einen Gegenpol zum Fürsten stellt auf der rechten Bildseite die heilige Elisabeth dar, die Ahnherrin der hessischen Landgrafen, die im Mittelalter als Wohltäterin der Armen bekannt geworden war. Zwar hatte Philipp in Hessen die Heiligenverehrung abgeschafft und die Gebeine Elisabeths aus ihrer Gruft in der Elisabethkirche in Marburg entfernen lassen, doch nahm er sie gerne weiter als Patronin seines Landes in Anspruch. Ihr Ansehen habe der Landgraf nicht schmälern wollen, sagte Dr. Friedrich. „Elisabeth wird nun nicht mehr als katholische Heilige verehrt, sondern ist – evangelisch verstanden – nur noch eine Wohltäterin der Armen und Kranken.“ Sie sei damit gleichsam zum Vorbild eines jeden evangelischen Christen geworden und vermittele die Botschaft, dass man den durch den kranken Lazarus symbolisierten Bedürftigen uneigennützig helfen solle.
Am Beispiel eines im Jahre 1679 gefertigten Gemäldes des Philippsteins legte Dr. Friedrich weiter dar, dass die reformatorische Botschaft des Kunstwerks schon im Abstand von knapp 140 Jahren nicht mehr verstanden worden sei. Die Kopie, die in der Winterkirche des Klosters Haina hängt, weicht in wesentlichen Punkten von der Vorlage ab.
Der Historiker und Theologe Dr. Arnd Friedrich hat zahlreiche Werke zur Geschichte der Hainaer Zisterzienserabtei und des daraus hervorgegangenen Hospitals veröffentlicht und sich intensiv auch mit dem Philippstein befasst. Er war fast 30 Jahre Pfarrer in Haina, ferner gehörte er zu den Gründern der Freunde des Klosters Haina e. V. und war lange Jahre deren Vorsitzender.
Wer seinen Vortrag im Wortlaut lesen möchte, findet ihn hier: