Der Wegbereiter des Erfolgs
Wie vor 300 Jahren das Talent von Johann Valentin Tischbein entdeckt wurde – Neue Ausstellung im Kloster Haina über eine Schlüsselfigur der Malerfamilie
Manchmal entscheidet die Gunst eines Augenblicks über ein ganzes Leben. Das erlebte vor knapp 300 Jahren der 13-jährige Johann Valentin Tischbein, ein Sohn des Klosterbäckers aus Haina. Im Mai 1729 stand er eines schönen Tages in der Klosterkirche und zeichnete vor der Kanzel einen Evangelisten ab, dessen Darstellung dort angebracht war. Da trat ein Hofbeamter des Hauses Hessen-Darmstadt, der sich zufällig in Haina aufhielt, auf ihn zu. Er betrachtete die Zeichnung, bewunderte die Fertigkeiten des Jungen und fragte ihn spontan, ob er nicht Maler werden wolle. Als Antwort erhielt er ein fröhliches Ja. Die Eltern waren einverstanden, und so kam der gewitzte Knabe mit nach Darmstadt und ließ sich zum Tapetenmaler ausbilden. Später wurde er Kunstmaler, lebte in den Niederlanden und war auch an verschiedenen deutschen Höfen tätig.
Sein Werdegang, sein Werk und seine Verdienste werden jetzt vom Verein der Freunde des Klosters Haina erstmals in einer eigenen Ausstellung gewürdigt, die am Sonntag, dem 23. März 2025, in einem Nebenraum des Kreuzgangs eröffnet wird und bis zum 2. November dauert. Kuratorin ist die Kasseler Kunsthistorikerin Caroline von der Osten-Sacken, die seit 2019 die jährlich wechselnden Präsentationen in Haina zur Geschichte der Malerfamilie Tischbein entwickelt. Sie hat auch ein Buch über die Sippe veröffentlicht, das im Klosterladen erhältlich ist.
Die besondere Bedeutung Johann Valentin Tischbeins (1715-1768) rührt nach ihren Worten nicht nur von seinem eigenen künstlerischen Schaffen her, sondern auch von der Tatsache, dass er als erster in der Familie erfolgreich den Weg zur Malerei einschlug. „Er hat dann seinen Brüdern, Söhnen, Neffen und Nichten ebenfalls Zugang zu dieser Welt verschafft“, sagt die Kunsthistorikerin. „Die zufällige Entdeckung des Knaben in der Kirche wurde damit zum Ausgangspunkt für den geradezu märchenhaften Aufstieg einer ganzen Dynastie von Künstlern, die es ohne diesen magischen Moment wohl nie geworden wären.“
Valentin war einer der sieben Söhne des Hospitalbäckers Johann Heinrich Tischbein (1683-1764) und dessen Frau Susanne Margaretha geb. Hinsing (1690-1772). Die Familie, zu der auch zwei Töchter gehörten, war offenbar mit einer künstlerischen Ader gesegnet. Fünf der sieben Söhne wurden Maler – Valentin ging voraus und bereitete seinen jüngeren Brüdern den Weg. In drei Generationen waren es dann mehr als zwei Dutzend Männer und Frauen, die als Malerinnen und Maler tätig waren. Einige von ihnen wurden sehr bekannt, so auch Valentins Sohn Johann Friedrich August, ein gefragter Porträtist, und sein Neffe Johann Heinrich Wilhelm, der 1786/87 das weltberühmte Bild von Johann Wolfgang Goethe in der Campagna bei Rom schuf.
Valentin Tischbein legte den Grundstein für ihren Aufstieg. Zunächst von Darmstadt, dann von Frankfurt und Kassel aus versorgte er seine jüngeren Brüder in Haina mit Pinseln, Farben und Leinwand. Zuvor hatten sie mit Birnenstengeln, Lehm und rotem Stein zu malen versucht, wie Caroline von der Osten-Sacken sagt. Den besonders talentierten Johann Heinrich Tischbein d. Ä., der sich später in Paris und Italien fortbilden konnte und ab 1753 als Hofmaler der Landgrafen von Hessen-Kassel zu großem Ansehen gelangte („Kasseler Tischbein“), leitete Valentin in jungen Jahren als Lehrling an und nahm ihn mit zu verschiedenen Auftraggebern. Ähnlich verfuhr er auch mit dem Jüngsten der Familie, Wilhelm Anton Tischbein, dem so genannten „Hanauer Tischbein“.
Als freier Künstler war Valentin Tischbein viel unterwegs, doch fand er immer wieder auch feste Anstellungen als Hofmaler, die ihm viel Spielraum ließen. So trat er 1741 als 25-Jähriger in die Dienste des Grafen Christian August zu Solms-Laubach im hessischen Laubach bei Gießen. Drei Jahre später wechselte er zu Carl August Graf von Hohenlohe-Kirchberg in Kirchberg an der Jagst in Württemberg. Zwischen 1747 und 1753 hielt der Maler sich immer wieder längere Zeit auch in den Niederlanden auf. In Maastricht wurde er vom dortigen Militärgouverneur mit einer Serie großer Porträts betraut. In Den Haag war er Mitglied in der Lukasgilde, dem Berufsverband der Maler, und wirkte als Dozent. Außerdem porträtierte er hochgestellte Persönlichkeiten wie den Erbstatthalter Wilhelm IV. und dessen Frau Anna. Eine Zeitlang lebte er auch in Amsterdam.
Eine weitere wichtige Station war ab 1756 der Hof des Herzogs Ernst von Sachsen-Hildburghausen in Hildburghausen im Süden Thüringens. Hier wurde der umtriebige Künstler als Hofmaler, Architekt und Kabinettssekretär beschäftigt, und hier entwarf er auch für sich und seine Familie ein stattliches Haus, das er bis zu seinem frühen Tode mit 52 Jahren im Jahre 1768 bewohnte.
In seiner Malweise war Valentin Tischbein nach den Worten von Caroline von der Osten-Sacken noch ganz den Traditionen der Barockzeit verpflichtet. „Diese Bilder dienten dazu, den Stand und Beruf der Porträtierten zu zeigen, etwa durch Attribute wie Kronen, Orden oder auch Bücher. Üppige Vorhänge im Hintergrund oder steinerne Säulen unterstrichen zusätzlich den Rang der Dargestellten. Und meisterhaft stellte der Maler dabei verschiedene Stoffe dar, etwa Samt oder Seide und kostbare Spitzen.“
Oft war Valentin Tischbein auch als Ausstattungskünstler tätig. Für seine Auftraggeber malte er in verschiedenen Schlössern eine Reihe von Supraporten, also Wandbildern für den Raum über den Türen. In Kirchberg an der Jagst schmückte er die Wände und die Tür eines ganzen Gartenhauses mit italienisch anmutenden Landschaften. Ferner fertigte er zahlreiche architektonische Entwürfe an. In der Hainaer Ausstellung werden etliche dieser Werke anhand von Reproduktionen oder Fotos gezeigt, die die Kuratorin bei ihren Recherchereisen zu den Wirkungsstätten des Malers aufgenommen hat. „Im Ganzen tritt uns Valentin Tischbein als ein Künstler vor Augen, der in seinen Porträts im Wesentlichen dem Spätbarock zuzuordnen ist, aber er wagte auch Neues, und es gibt Beispiele einer weniger strengen Darstellungsweise zu sehen.“
Die Ausstellung, die bis zum Saisonende am 2. November dauert, wird am Sonntag, dem 23. März, um 14:00 Uhr in einem Nebenraum des Kreuzgangs im Kloster Haina eröffnet. Dabei gibt die Kuratorin Caroline von der Osten-Sacken zunächst in der Winterkirche eine Einführung. Außerdem bietet sie im Laufe des Jahres an drei Sonntagen jeweils um 14 Uhr eine Kuratorenführung an, und zwar am 18. Mai, am 6. Juli und am 12. Oktober. Wer regelmäßig über solche Führungen und andere Aktivitäten der Freunde des Klosters Haina unterrichtet werden möchte, kann unter der E-Mail-Adresse klosterhaina@t-online.de kostenlos den Newsletter des Vereins abonnieren. Nähere Informationen findet man auch auf der Website www.klosterhaina.de.